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Vom Ausnutzen zum Ausbeuten

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Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von MART PRODUCTION

Manche Menschen, sie haben durchaus die Neigung Ihresgleichen ungerecht zu behandeln und wenn sie Vorteile davon haben, das Gegenüber auch auszunutzen. Dieses Phänomen lässt sich im Alltag gut beobachten: Geht es um persönliches Fortkommen, das Sichern immaterieller und materieller Besitzstände für den Einzelnen, gerne auch für dessen Nachkommen, dann spielen die Bedürfnisse anderer, sozial oder finanziell schlechter gestellter Individuen häufig keine Rolle. Stattdessen werden deren offenbare Wettbewerbsnachteile zum Zwecke des eigenen Fortkommens instrumentalisiert und oft gewissenlos genutzt. Ein Verhaltensmuster, das sich sowohl im Privaten als auch in der Arbeitswelt immer wieder abbildet. Ein Verhaltensmuster, das mit dem Begriff „asozial“ noch milde beschrieben ist.

Die Zuspitzung dieses Phänomens liegt in der planvollen und systematischen Ausnutzung der Personen, die nach jedem Strohhalm greifen, um eine Verbesserung ihrer Lebensverhält-nisse zu erreichen. Viel zu spät bemerken diese, dass der Preis, den sie bezahlen, eindeutig zu hoch ist und in persönlicher Unfreiheit mündet. Die Perversion des unerträglichen Ausbeutens des Anderen hat einen Namen: Moderne Sklaverei.

Zunächst einmal die Fakten: Die NGO „Free Walk“ hat unlängst die neusten Daten zu diesem Thema veröffentlicht. Innerhalb von fünf Jahren ist die Zahl um 10 Millionen gestiegen, 50 Millionen Menschen leben und arbeiten unter Bedingungen, die mit dem Begriff der „modernen Sklaverei“ zutreffend beschrieben sind.

Und es sind genau jene, deren Situation am fragilsten ist, die die wenigsten Aussichten auf ein gutes Leben haben: Migranten, welche ihr Zuhause aus unterschiedlichsten Gründen verlassen müssen, um überleben zu können: Folgen des Klimawandels, Kriege, Missernten – sie erlauben immer öfter kein Verbleiben an dem Ort, an dem man in die Welt gekommen ist.

Die Länder, in denen die Menschen massiv und in großem Umfange ausgebeutet werden, sie heißen Nord-Korea, Saudi-Arabien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate. Aber auch in China, Russland und in den Vereinigten Staaten wird die Situation der Migranten schonungslos zum eigenen Vorteile ausgenutzt.

Man könnte also zunächst glauben, dass wir hier in Zentraleuropa nichts damit zu tun haben. Es lohnt sich genauer hinzuschauen: So berichtete der SRF Ende Januar dieses Jahres von Ausbeutungsstrukturen, die sich in Schweizer Nagelstudios zeigten. Erzählt wurde die Geschichte von einer jungen Vietnamesin. Um ihre hoch verschuldete Familie zu entlasten und auf Druck der Gläubiger ging sie nach Europa. Die Frau wurde gezwungen über Jahre in Restaurants und Nagelstudios zu arbeiten. Bei einer Polizeikontrolle eines solchen Studios fiel sie auf und wurde an die Fachstelle für Frauenmigration und Frauenhandel weitergeleitet. Kein Einzelfall, bei 12 von 15 Polizeikontrollen trafen die Beamten auf Missstände wie Schwarzarbeit, Beschäftigungen ohne Vergütung, fehlende Aufenthaltsgenehmigungen und auch Scheinehen. Moderner Sklaverei können wir folglich auch sehr direkt hier bei uns begegnen.

Größer allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit der Thematik indirekt in Berührung gekommen sind. Kleidung, elektronische Produkte, aber auch Palmöl – diese und weitere Industrieerzeugnisse sowie auch landwirtschaftliche Güter – werden zum Teil unter Zwang oder in Abhängigkeit hergestellt. Es sind die globalen Lieferketten, die trotz der in einigen Ländern bereits geltenden Transparenzgesetze, nicht gut genug durchschau – und überprüfbar sind, um ausschließen zu können, dass Waren oder aber eben Teile derselben von modernen Arbeitssklaven produziert wurden.

Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Eine ökonomische Binsenweisheit. Viele von uns sind nicht bereit, manche von uns aber eben auch nicht in der Lage, mehr für Produkte zu bezahlen. Zusätzlich Geld für faire Arbeitsbedingungen oder ökologisch schonende Transporte auszugeben, kommt für diese und weitere Gruppen nicht in Frage. Folglich werden uns Meldungen, wie jene über den ständigen Zuwachs an Arbeitssklaven, zwar für den Moment vielleicht aufrütteln, darüber hinaus wird sich allerdings wenig ändern.

Wenn Konsumenten, Produzenten und Händler, notwendige Veränderungen nicht selbst hervorbringen, dann ist es Aufgabe des Staates hier einzugreifen, zu regulieren. Ob das allerdings bei einem Problem, das ja globaler Natur ist und bei dem die Interessen einzelner Staaten nicht deckungsgleich sein werden, überhaupt möglich ist, das mag bezweifelt werden.