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Wo Meinungen aufeinander treffen

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Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Miguel Á. Padriñán

Stellen wir uns vor, wir sind Regierung, nur so, für einen Moment lang. Zwar irgendwie demokratisch gewählt, aber mit wenig Vertrauen in unsere Bürger ausgestattet. Deshalb ist es auch gut und für alle besser, wenn wir den Informationsfluss und -austausch kontrollieren. Mühsam, aber möglich mit Zensur und Falschmeldungen zu operieren. Jederzeit machbar und gar nicht wirkungslos: Den Stecker ziehen, also den vom Internet. Die Organisation von Aufständen, Unruhen und Protesten, Kritik an uns, der Regierung, auf Facebook oder Twitter – das geht nicht. All diesem kann man entgegenwirken, wenn man den Zugang zum Datennetz kappt. Verführerisch oder? Wir meinen es doch nur gut. Und endlich ist Ruhe.

Wer macht denn so etwas? Die Organisation „Access now“, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für die digitalen Freiheitsrechte der Bevölkerung einzusetzen, veröffentlichte im Februar 2023 dazu einen Bericht mit dem Titel „Weapons of control, shields of impunity: Internet shutdowns in 2022.  Diesen aktualisierte sie unlängst am 23. Mai. Lesenswert in jedem Fall. Schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lässt erkennen: Alle Kontinente sind von dem Phänomen betroffen. Egal, ob es um die Eindämmung von Protesten, Einfluss auf Wahlen oder das nachhaltige Sperren von Plattformen des Austauschs im Internet geht. Abschalten läuft.

Betrachtet auf einer Zeitachse von 2016 bis heute zeigt sich ein zunehmender Trend, das Internet innerhalb eines Landes oder einer Region einfach zu deaktivieren, wenn es den Herrschenden notwendig erscheint. Zu Beginn des Betrachtungszeitraums waren es 75 Unerreichbarkeiten innerhalb eines Jahres. 2019 wurde der Zugang zum Netz insgesamt 213-mal gekappt, im letzten Jahr registrierte man 187 dieser Fälle. Auch interessant: Die Anzahl der involvierten Länder, 2016 waren es noch 25, 2019 33, im vergangenen Jahr 35.

Und wer führt die Internetkappungshitparade an: Spitzenreiter ist Indien. Ende Februar zuletzt, da fiel das Land durch sein beherztes Durchgreifen auf: Es waren Informationen zu einer Klausur von sich in der Ausbildung befindlichen Lehrern durchgesickert. Man schaltete in fast dem gesamten Bundesstaat Rajasthan das mobile Internet ab. Eine drastische Maßnahme, um Täuschungen bei Prüfungen zu unterbinden. Vor allem auch deshalb, weil Menschen das Datennetz-to-go natürlich aus vielen anderen Anlässen nutzen wollten oder mussten und dies nun nicht konnten.

Überhaupt scheint die aktuelle Regierung unter Premierminister Modi nicht zimperlich zu sein. Bewusst nutzt man Abschaltungen um die Ausbreitung von regierungsfeindlichen Informationen und Berichten über Proteste zu verhindern oder schlicht Kritik in bestimmten Situationen einzudämmen. Häufig sperrt man auch den Zugang zu Internetseiten oder veranlasst die Löschung von unliebsamen Inhalten.  Die Pressefreiheit, sie scheint nicht besonders schützenswert zu sein. Man versucht gezielt durch die Übernahme privater Medien mithilfe von Vertrauten Modis, die Verbreitung von Informationen zu beeinflussen und damit zum Beispiel Regierungsgegner zu diskreditieren.

Problematisch. Eine Demokratie atmet und lebt nur dann, wenn Informationen frei fließen können. Nur so ist Meinungsbildung und – verkürzt dargestellt – politische Partizipation möglich. Es ist heute mehr denn je schwierig, mithilfe objektiver Fakten zu einer eigenen und argumentativ gut vertretbaren Position zu einer politischen Frage zu kommen. In großem Umfang wirken wirkliche Nachrichten, Fake-News und ungesicherte Informationen aus sozialen Netzwerken auf uns ein.

Und erst nach einem Faktencheck und damit einer Objektivierung der gesammelten Informationen kann sich der Bürger ein Bild zu machen. Wenn dann der Staat – so wie in Indien, aber auch vielen anderen Ländern – noch inhaltlich manipulierend eingreift und den freien Zugang zum Internet nicht als Teil des Grundrechts auf ungehinderten Zugang zu Informationen versteht, dann entfernt er sich mit großen Schritten vom Ideal einer freiheitlichen Demokratie.