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Wo Meinungen aufeinander treffen

Rechts abbiegen gen Osten

Photo by Sự Minh : https://www.pexels.com/photo/holocaust-memorial-in-berlin-16511758/

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Sự Minh

Durchgeführt im Sommer 2022 vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut an der Universität Leipzig unter Beteiligung weiterer Hochschulen. Eine Studie, die versucht die politische Haltung der Ostdeutschen zu erfassen. Befragt wurden 3.546 Personen. Und bereits die erste Erkenntnis, sie überrascht. Die Menschen im Osten des Landes, sie vermissen den Staat, der vor 33 Jahren aufgehört hat zu existieren. Es sind nicht einige oder wenige, 66 % der dort lebenden Bevölkerung fehlt sie, die DDR. Der westlichen Demokratie, der Bundesrepublik ist es offenbar nicht gelungen, Hoffnungen zu erfüllen. Im Gegenteil, 25 % der Menschen in den neuen Bundesländern betrachten sich selbst als Verlierer des Einigungsprozesses.

Das wissenschaftliche Papier mit dem Titel „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“ macht deutlich, was zu vermuten war und frühere Untersuchungen auch bereits ergeben hatten: Es gibt im Osten eine große Zustimmung zu rechtsextremen Ansichten.

Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus erfahren nur geringe Ablehnung. Erschreckend: Positionen, die ihren Ursprung im Sozialdarwinismus oder Antisemitismus haben, werden von bis zu einem Drittel der Befragten ganz oder teilweise befürwortet.

Und der Staat, er muss nicht unbedingt demokratisch sein. Zitat Prof. Dr. Oliver Decker von der Uni Leipzig: „Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit.“ Die Ostdeutschen, sie sind mit der Demokratie nicht zufrieden, dort vermutlich nie ganz angekommen. Seit 20 Jahren, so Dr. Johannes Kies, stellvertre-tender Leiter des Instituts, dass die Studie durchführte, fremdeln die Menschen, die auf dem Gebiet der ehemaligen DDR leben mit diesem politischen System.

Und tatsächlich: Die Untersuchung ergab, dass man sich im Osten des Landes eine einzige starke Partei wünsche, die die Volksgemeinschaft verkörpere. Für rechtsextreme Politiker also eine Zielgruppe, die mit entsprechenden Angeboten erreichbar und somit bei Wahlen gut mobilisierbar ist. Sieben Prozent der Ostdeutschen haben ein rechtsextremes Weltbild, rechtsextreme Position werden in bestimmten Bundesländern nur von 20 bis 30 % der Menschen abgelehnt. Ausländerfeindlichkeit: Laut Studie sind über 25 % der Bürger in Ostdeutschland ausländerfeindlich.

Die Ergebnisse, sie sind schockierend. Die festgestellten Trends aber schon länger bekannt. Wo haben diese Haltungen ihren Ursprung? Unterschiedliche Faktoren spielen hier eine Rolle. Da gibt es so etwas wie eine ostdeutsche Identität, entstanden durch die Sozialisation und besonders auch staatliche Erziehung in einem fürsorglich agierenden, sich kümmernden Staatsgebilde. Dabei vergessen die sich Erinnernden offenbar die Abwesenheit von grundlegenden Freiheiten, die Enge, die Alternativlosigkeit und das brutale Vorgehen gegen die, die sich dem Staat kritisch entgegenstellten.

Der Systemwechsel, der dann vollzogen und durchlebt wurde, wir im Westen des Landes haben keine Vorstellung davon, was das bedeutete. Transformationserfahrungen wie der Verlust der sozialen Sicherheit und des Arbeitsplatzes, der Konfrontation mit vollständig neuen Anforderungen im Alltag und auch persönliches Scheitern, sie haben sicherlich keine belastbare Brücke zum Leben in der bundesrepublikanischen Demokratie entstehen lassen. Wer sich nicht wahrgenommen fühlt und keine Wertschätzung erfährt, wessen Hoffnungen enttäuscht werden, wer sich vielleicht als Bundesdeutscher 2. Klasse fühlt, der ist offen für populistische und auch rechtsextreme Politikentwürfe.

Das mit dem Zusammenwachsen, es hat nicht richtig funktioniert. Und der Eindruck, dass der Westen den Osten überrollt habe, er ist nicht ungerechtfertigt. Die Uhr allerdings, sie lässt sich nun einmal nicht zurückdrehen. Gegen Abspaltung und Spaltung gibt es eigentlich nur ein Mittel: Kommunikation in der Begegnung, der persönlichen Begegnung. Zusammen-wachsen können Gruppen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen nur in der produktiven Auseinandersetzung miteinander. Und nur auf diesem Wege, dem des sich Näherkommens, kann Verständnis für die anderen überhaupt entstehen. Erste kleine Schritte, sie sind aber Voraussetzung dafür, dass alles andere und zunächst Trennende nach und nach verstanden, als wirklicher Fortschritt angenommen und bestenfalls integriert werden kann, unter der Voraussetzung, dass es als positiv im Sinne einer Verbesserung unmittelbar erlebt wurde. Das gilt eben auch für die Idee unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft.