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Wo Meinungen aufeinander treffen

Aiwanger

Photo by Anna Nekrashevich: https://www.pexels.com/photo/brown-paper-on-the-wall-8533218/

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Anna Nekrashevich

Um eine Betrachtung des Vorfalls kommen wir wohl hier bei Today´s Day nicht herum. Zunächst aber: Wer wie ich in den Siebziger und Achtziger Jahren zur Schule gegangen ist, dem wurde schon sehr früh und eindeutig ein Einblick in die jüngere Geschichte dieses Landes gewährt. Getragen von der Idee, dass die furchtbaren Verbrechen des NS-Regimes sich niemals wiederholen dürfen und man dieses Ziel vor allem dadurch erreicht, indem man bereits junge Menschen in der Schule darüber aufklärte, was zwischen 1933 und 1945 hier geschah. Die Ideologie des Nationalsozialismus, wie er zur Macht kam, die Aufhebung der Demokratie, die Manipulation der Jugend, die Ausgrenzung und Vernichtung derer, die unerwünscht waren. Und auch der Krieg, der weitere Millionen von Opfern forderte. Das sind nur einige Aspekte dieses wichtigen Themas, die in meinem Geschichtsunterricht ausführlich behandelt wurden. Und das war gut und richtig, damals wie heute.

Letzte Woche. In den Schlagzeilen ein 35 Jahre altes Flugblatt, antisemitisch. Unerträglich. Ich erspare Ihnen und mir die Wiedergabe des Inhalts. Ein solches Dokument hätte nie verfasst oder gar jemals verteilt werden dürfen. Genau das aber geschah im Schuljahr 1987/1988 an einem niederbayerischen Gymnasium. Verantwortlich nach ersten Berichten der Süddeutschen Zeitung: der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Freistaates, Hubert Aiwanger.

Dieser bestritt, Verfasser des Schriftstücks gewesen zu sein. Allerdings hatte man wohl seinerzeit einige Exemplare desselben in seiner Schultasche gefunden und den damaligen Schüler zur Rede gestellt. Die Schulleitung forderte ein Referat vom ihm ein. Weitere Konsequenzen bleiben aus. Aiwanger bezeichnete das Papier als ekelhaft und menschen-verachtend. Der ihm bekannte Autor werde sich selbst erklären. Es sei weder heute noch damals seine Art, andere Menschen zu verpfeifen.

Einen Tag später schließlich eilte sein ein Jahr älterer Bruder Aiwanger zur Hilfe. Er habe das Pamphlet verfasst, distanziere sich von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen seines Tuns. Wut über sein Durchfallen in der Schule sei der Motivator gewesen, der zur Entstehung des Dokuments geführt habe. Und schließlich: Es sei damals noch minderjährig gewesen.

Der letzte Satz in der Erklärung von Aiwangers Bruder, er macht nichts besser. Die Erläuterung zur Genese des antisemitischen und die Opfer der Schoa verhöhnenden Inhalte des Papiers lassen sich kaum durch Wut auf das eigene schulische Versagen erklären. Worte, die nicht heilen.

Der Stand der Dinge am späten Montagnachmittag: Wie die Sache nun ausgeht, das ist ungewiss. Der bayerischer Ministerpräsident Söder hat für morgen den Koalitionsausschuss zu einer Sondersitzung einberufen. Die Oppositionsparteien im Parlament des Freistaates erwarten von Söder eine Stellungnahme, ggf. werden sie noch einen Antrag auf eine Sondersitzung des Landtags stellen. Und auch der Bundeskanzler verlangt nach Aufklärung in der Angelegenheit. Wie diese nun ausgeht, ist in diesem Moment noch offen.

Kehren wir zum Anfang zurück. In einer Zeit, in der in Schule bereits sehr viel für die Aufklärung über die nationalsozialistische Herrschaft getan wurde, konnte dennoch ein solche unerträgliches Pamphlet entstehen. War also all das pädagogische Bemühen damals vergeblich? Vielleicht ist meine Grundannahme in der Sache auch falsch und nicht allen Schülern wurde in dem von mir erlebten Maße vermittelt, dass Vergessen keine Option ist. Ich weiß es nicht. Ich weiß allerdings, dass man nicht müde werden darf über die düstere Periode der NS-Herrschaft zu sprechen.

Gerade heute, wo sich rechte Strömungen in der Politik unverhohlen zeigen und eine Partei, die diese Inhalte wie selbstverständlich nach außen vertritt, politisch erfolgreich ist. Was die Aufgabe der Demokratie und die Errichtung eines menschenverachtenden Systems, ein in seinen Handlungen entmenschlichendes Regime in der Lage ist an Unmenschlichem Realität werden zu lassen, muss an jede folgende Generation weitergegeben werden. Denn es liegt in deren Hand, dafür Sorge zu tragen, dass es bei einem „Nie wieder“ bleibt.