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Wo Meinungen aufeinander treffen

Die Rede der Claudia Pechstein

Photo by Ryutaro Tsukata: https://www.pexels.com/photo/aged-toy-police-car-on-wooden-shelf-5472259/

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Ryutaro Tsukata

Mit Sportlern ist das immer so eine Sache. Häufig – ein wenig hängt das auch von der ausgeübten Sportart ab – verfügen sie über eine hohe soziale Kompetenz und verstehen es andere in Gruppen gut zu integrieren. Auch wenn ich jede Form von Bewegung über das Notwendige hinaus kategorisch ablehne, so habe ich die Fraktion der Ballspieler, Turner oder Biker bislang immer als sympathische Zeitgenossen erlebt. Meist, da bin ich ein Opfer meiner eigenen Vorurteile, saß sogar der Verstand an der richtigen Stelle und zeigte die notwendige Beweglichkeit auch jenseits des Spielfelds.

Nun aber zu Frau Pechstein. Eisschnellläuferin, insgesamt neun olympische Medaillen, fünf davon in Gold. Im Jahr 2009 geriet sie in Schwierigkeiten, ein Bluttest hatte auffällige Werte gezeigt. Ergebnis: Zwei Jahre Sperre. Daran änderte sich auch nichts, als Pechstein sich gerichtlich wehrte und Gutachten zu einer angeborenen Blutanomalie vorlegte. Sportlich blieb Pechstein nach der Zwangspause weiterhin erfolgreich, noch 2022 nahm sie an der Olympiade in Peking teil.

Letztes Wochenende fand in Berlin der CDU-Grundsatzkonvent statt. Die Veranstaltung, sie ist eine der Etappen der Partei auf dem Weg zu einem neuen Programm. Hier sollten sich Mitglieder, Fachleute und auch Menschen aus der Zivilgesellschaft über Positionen des Grundsatzprogrammes austauschen. Frau Pechstein hatte man auch eingeladen. Als Rednerin.

Reden halten ist beileibe keine einfache Sache. Claudia Pechstein hat sich redlich bemüht, ihren Text vorzutragen. Allein, es ist ihr so gar nicht gut gelungen. Das ist auch in Ordnung. Sich vor ein Publikum zu stellen und etwas – frei oder abgelesen – vorzutragen, das bedarf einer guten Vorbereitung, viel Übung gehört auch dazu. In der Partei, die die Sportlerin zum Vortrage einlud, gibt es eine Menge gut geschulter Damen und Herren, die bei der Vorbereitung von Pechsteins Auftritt hätten helfen können. Es spricht nicht sehr für eine Partei einen Nicht-Profi in die Öffentlichkeit zu stellen, ohne ihn vorher unterstützt zu haben. Das Ergebnis ist eine unnötige Bloßstellung.

Neben der Form des Vortrags ist da noch der Inhalt dieser Rede. Die Themen sind vielfältig, ich erspare Ihnen keines: Stärkung des Schul-, Vereins- und Breitensports. Ein Lob für die Ehrenamtlichen. Die Notwendigkeit der Aktivierung der Jüngsten, auch um die zukünftige Entlastung der Gesundheitskassen willens. Betonung des Mottos „Leistung muss sich wieder lohnen“ am Beispiel der eigenen Karriere. Mehr Förderplätze für Sportler bei Bundeswehr und -polizei, die man sich aber verdienen muss. Schwenk zum Polizeidienst und dem Primat des Helfen-Wollens. Dann Asylrecht: Kein Verständnis dafür, dass abgelehnte Asylbewerber im Land bleiben dürfen. Forderung nach einer rechtsstaatlichen Lösung. Dadurch nicht nur Erleichterung der Polizeiarbeit, auch mehr Sicherheit im Alltag: Angstfreie Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel dann möglich. Das sei wichtiger – wir kehren jetzt hier wieder zu Sätzen zurück – als Diskussionen über Gendersternchen, den Begriff „Deutscher Liederabend“ oder die Verwendung der Bezeichnung „Zigeunerschnitzels“. Abschließend ein Lob des Grundwertes „Familie“ in traditioneller Form mit „Mama und Papa“. Die CDU muss als Volkspartei Familienpartei sein.

Wie viel Analyse vertragen Sie? Die Rede fällt allerspätestens inhaltlich in die Kategorie des unbedingt zu Vermeidenden, als Pechstein sich von der Hilfsbereitschaft der Polizei zum Asylrecht bewegt. Aus dem Gesagten verstehe ich, dass abgelehnte Asylbewerber unmittel-bar abzuschieben seien. Dann könnte man die öffentlichen Verkehrsmittel auch wieder angstfrei benutzen. Man mag sich politisch etwas wünschen, es aber derart zu verknüpfen und den nicht anerkannten Asylsuchenden als für andere gefährlichen Menschen darzustellen, ist zunächst einmal sachlicher Unfug, unerträglich und gefährlich. Der Applaus aus der Ecke der Ordentlichen und Anständigen jedenfalls ist ihr so sicher.

Das Gendersternchen oder der „Deutsche Liederabend“, hier höre ich den Klang von „Wir lassen uns von linken, liberalen und progressiven Intellektuellen nicht sagen, was wir zu sagen oder zu schreiben haben. Faust-auf-den-Tisch-Protest Marke Deutscher Stammtisch. Unterirdisch wird es beim Zigeunerschnitzel. Hatten nicht Fr. Pechsteins Eltern sie „anständig“ erzogen? Haben Sie vergessen zu erwähnen, wie viele Sinti und Roma als Zigeuner Opfer der NS-Diktatur geworden sind und wie sie bis heute Ausgrenzung erleben?

Das Glück der Deutschen, es liegt offenbar in der Familie. Aber bitte in einer anständigen, deutschen, traditionellen Familie. Die Summe der möglichen Vielfalten wird so zum gesellschaftlichen Fremdkörper, das ist nie weit entfernt vom Aussätzigen, Verfolgten, bestenfalls noch Vertriebenen. Ich lege Frau Pechstein nahe, ein paar Schuljahre Geschichte zu wiederholen. Dann wird – das würde ich ihr wünschen – über ihre eigenen Worte erschrecken. Nun allerdings sind sie erst einmal in der Welt.

Und es gibt genug Menschen, die zustimmend nicken. Wenn nicht bei jedem der angesprochenen Themen und Positionen, so doch bei einigen. Ein bisschen erinnert mich das Ganze an den Kulturkampf in den USA. Konservative schärfen ihre Waffen, machen ihre Positionen überdeutlich, versichern sich so einer Anhängerschaft, die ihnen zu Mehrheiten verhelfen soll.

Ich teile Frau Pechsteins Sicht nicht. So einfach ist das. Ihren Vortrag hielt sie in einer Uniform der Bundespolizei, bei der sie beschäftigt ist. Erneut schwierig. Ist nicht die Polizei wie jedes andere Staatsorgan zur Neutralität verpflichtet. Dass Frau Pechstein eine Meinung hat und diese öffentlich äußert, ist in einer Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Das Tragen einer Uniform dabei könnte zu Missdeutungen und -verständnissen führen. Die Sportlerin erweckte so bei einigen Hörern vielleicht den Eindruck, sie habe als offizielle Vertreterin des Staates gesprochen. Dem war nicht so. Dafür bin ich dankbar.