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Einsamkeit – Sie tut nicht gut

Einsamkeit tut nicht gut

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Hinter uns liegt eine Aktionswoche. Sie sollte mit Veranstaltungen, Artikeln in der Presse und auch Beiträgen sowie Dokumentationen in Rundfunk, Fernsehen und Internet bestenfalls dazu gedient haben, uns mit einem gesellschaftlich relevanten Thema, das im alltäglichen Nachrichtenstrom häufig untergeht, vertraut zu machen, uns zu informieren und vielleicht auch zu sensibilisieren. Doch was stand vergangene Woche im Fokus? Es ging um ein psychisches Problem, das immer mehr Menschen betrifft.
Sie tut uns nicht gut. Sie schadet dem Körper, sie schadet der Seele, ihre negativen Folgen reichen bis in unsere Gesellschaft hinein, können die Demokratie sogar gefährden. Die Rede ist von einem Empfindungszustand, den jeder von uns schon einmal erlebt hat, für einen Moment, über Tage oder Wochen, auch dauerhaft: Einsamkeit. Das nach dieser Empfindung benannte Kompetenznetz definiert sie auf seiner Internetseite als „eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen.“ Entscheidend für die subjektive Wahr-nehmung von Einsamkeit – so erklären die Fachleute – sei gar nicht so sehr die Quantität von Bindungen zu anderen Menschen sondern ihre Qualität.
Das Thema Einsamkeit ist unlängst wissenschaftlich vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung untersucht worden. Das Ergebnis der im Mai dieses Jahres veröffentlichten Studie: Die Einsamkeit im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter ist angestiegen.
Die wichtigsten Fakten: Ca. 33 % der Menschen im Alter zwischen 18 und 53 Jahren in unserem Land fühlen sich zumindest teilweise einsam, 17 % sogar sehr einsam. Jüngere Erwachsene und nicht alleinlebende Personen sind zunehmend betroffen. Frauen sind vor allem emotional einsam, das bedeutet, dass eine enge emotionale Beziehung als fehlend empfunden wird. Männer hingegen sind öfter sozial einsam, sie vermissen Freundschaften oder sonstige soziale Beziehungen.
Wer leidet besonders in unserer Gesellschaft unter Einsamkeit? Auch darauf findet die Untersuchung eine Antwort: Es sind Menschen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sowie Allein- und Getrenntlebende.
Die Studie verweist darauf, dass die Folgen der Einsamkeit sowohl dem Individuum als auch der Gesamtgesellschaft schaden können und empfiehlt ein kontinuierliches Monitoring des Phänomens über alle Alters- und Gesellschaftsgruppen hinweg.
Zwei Ergebnisse des Forschungsprojektes, jenseits der Erkenntnis, dass die Zahl der einsamen Menschen im Land zugenommen hat, gilt es genauer zu beleuchten: Die Gruppe der Betroffenen und die Folgen.
Nachvollziehbar erscheint, welche sozialen Gruppen die Studie als besonders betroffen indentifiziert. Wer über ein geringes Einkommen verfügt, kaum Zugang zu Bildung und Kultur hat und auch in der Berufswelt wenig erfolgreich oder gar nicht beschäftigt ist, dessen Möglichkeiten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen sind häufig eingeschränkt. Gemeinsame Unternehmungen aber auch schon ein Besuch im Café kosten häufig Geld, das nicht übrig ist. Barrieren, die soziale Kontakte erschweren zu überwinden, das kostet viel Kraft und Einfallsreichtum. Kraft, die häufig bereits fehlt.

Wer allein und getrennt lebt, dem fehlen viele Optionen soziale Beziehungen herzustellen, die Paaren und Familien zur Verfügung stehen. Die gleichsam automatische Überschneidung von Lebenswelten allein dadurch, dass man zu zweit ist oder Kinder hat, kommt weniger häufig oder gar nicht zustande. Erschreckend ist eben auch, dass Menschen, die die bundesdeutsche Staatsangehörigkeit nicht haben, in höherem Maße von Einsamkeit betroffen sind. Es ist schwer in einer sprachlich und kulturell fremden Umgebung Fuß zu fassen, die einem auch häufig wenig offen, abweisend zumindest aber nicht in ausreichendem Maße unterstützend begegnet.
Die Folgen von Einsamkeit, die in einem Artikel von tagesschau.de mit dem Titel „Was wir gegen Einsamkeit tun können“ kompakt dargestellt wurden, lassen sich in drei Bereiche unterteilen: Da sind die psychischen Konsequenzen des Erlebens von fehlenden Bindungen: Es kommt zu Depressionen, Angststörungen, ggf. sogar zu Suchterkrankungen. Da Menschen, die einsam sind, sich häufig weniger bewegen, sich schlechter ernähren und schlechter schlafen sind die Auswirkungen auf den Organismus kaum überraschend: Herz- und Kreislaufkrankheiten, Demenz, Diabetes und ein vorzeitiges Ableben.
Und die Gesellschaft? Wer einsam ist, der verliert die Verbindung zur Gemeinschaft, erlebt kein Miteinander mehr. Dies führt laut Maike Luhmann, Psychologin und Einsamkeitsforscherin, zu einer Neigung sich politisch extremeren Positionen anzuschließen. Sie spricht in diesem Zusammenhang von einer Gefahr für unsere Demokratie.
Bleibt die Frage: Was kann man gegen Einsamkeit tun, wie sie vermeiden helfen? Dafür kehren wir zurück zur Internetpräsenz des Kompetenznetzes Einsamkeit und schauen, welche Unterstützungsoptionen dort aufgezeigt werden. Und die sind vielfältig.
Da gibt es Hilfs- und Beratungsangebote wie die Telefonseelsorge oder den krisenchat. Auch zu erwähnen sind Modellprojekte gegen Einsamkeit, zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser, der DigitalPakt Alter oder auch das Projekt „Verein(t) gegen Einsamkeit“ des Deutschen Olympischen Sportbundes. Angebote, die eine digitale Teilhabe ermöglichen, können ebenso helfen. Und auch Apps gegen Einsamkeit, sie gibt es, wie beispielsweise meet5 oder friendsUp speziell für Frauen. Allerdings muss der Betroffene sich zunächst einmal auf den Weg machen um seine Einsamkeit zu überwinden, einen ersten Schritt unternehmen, einen Kontakt herstellen.
Und wenn die Energie dafür nicht ausreicht? Nicht nur dann, aber gerade dann sollten wir Nicht-Einsamen in Aktion treten. Richten wir unseren Blick auf unsere Mitmenschen. Vermuten oder bemerken wir, dass jemand in Einsamkeit existiert und darunter leidet, er kaum oder gar nicht mehr am gemeinschaftlichen Leben teilnimmt, dann ist es Zeit auf diese Person zuzugehen, einen Kontakt zu etablieren, zu ermutigen, zu begleiten, zu helfen und der Einsamkeit des Einzelnen entgegenzutreten, indem wir das wirksamste Mittel dagegen einsetzen: das Herstellen und Erhalten zwischenmenschlicher Beziehungen. Denn nur so kann Einsamkeit überwunden werden und Gemeinschaft immer wieder neu entstehen.