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iglu

Foto von Oleksandr Pidvalnyi: https://www.pexels.com/de-de/foto/junge-der-auf-einem-aufgeraumten-schreibtisch-schaut-2781814/

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Oleksandr Pidvalnyi

Alle fünf Jahre wird gelesen. Zuletzt waren 4.600 Viertklässler von insgesamt etwa 252 Grund- und Förderschulen dabei, die zeigten sollten, wie gut ihnen diese Kulturtechnik gelingt. Um das festzustellen, wurden den Kindern Sachtexte, aber auch Auszüge aus altersgerechten literarischen Werken vorgelegt, anschließend folgten die zu bearbeitenden Aufgaben. Diese dienten dem Zweck festzustellen, wie gut es klappt mit der Rezeption von Gedrucktem bei unseren Jüngsten. Aber nicht nur der bundesrepublikanische Nachwuchs wurde geprüft. Vielmehr handelt es sich bei der Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung, kurz Iglu, um eine vergleichende Schulleistungsstudie, an der Kinder aus 65 Nationen teilnehmen.

Gestern Mittag nun lagen die Ergebnisse endlich vor, zwei Jahre nach dem durchgeführten Test. Die Nachrichten sind keine guten, 25 Prozent der bundesdeutschen Viertklässler ver-fügen nicht über eine ausreichende Lesekompetenz, um Texte auf dem Mindestniveau verstehen zu können. Anders formuliert: Ein Viertel unserer Kinder verlässt die Grundschule und es ist jetzt bereits klar, dass sie für die folgenden Jahre ihrer Schulzeit nicht so vorbereitet sind, dass sie erfolgreich sinnentnehmend lesen können. Lesen um zu lernen, es  kann den Betroffenen nicht gelingen, der Misserfolg ist bei einer solchen Ausgangsposition vorprogrammiert.

Die Suche nach den Ursachen, sie begann bereits auf der Pressekonferenz, bei der die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Einen Teil ihrer Grundschulzeit haben die Getesteten gar nicht in Bildungseinrichtungen verbringen und dort lernen können, da während der Pandemie die Schulen immer wieder geschlossen waren. Es kam also darauf an, ob die Eltern Zeit, Gelegenheit und auch das notwendige Können hatten, um mit ihren Kindern zu üben. Hashtag „Soziale Lerngerechtigkeit in der Bundesrepublik“.

Aber Corona allein ist sicherlich nicht ausschließlich für die schlechten Ergebnisse verantwortlich. Der Erfolg des Lesenlernens, er hängt auch hiervon ab: Wie oft lesen Eltern ihren Kindern vor oder mit ihnen gemeinsam? Um beim Nachwuchs die Freude an der Literatur zu wecken, muss man früh beginnen und kontinuierlich wieder nachsteuern, dem Alter, der Entwicklung und den immer wieder neuen Interessen der Kleinen folgend. Die Begegnung mit dem Lesen in der Kindheit, sie entscheidet mit darüber, mit welchem Erfolg der Lernprozess in der Grundschule gelingt.

Vom Zuhause in den Raum der Schule: Interessant sind die Forderungen, die die wissenschaftliche Leiterin des deutschen Teils der Igel-Studie aus den Untersuchungsergebnissen ableitet. In den ersten Schuljahren muss der Anteil des Lesens am Unterricht erhöht werden. Kinder mit Leistungsrückständen sollen besondere Förderung erfahren, nachdem diagnostisch geklärt wurde, welche Ursachen für die Probleme verantwortlich sind. Darüber hinaus bedarf es einer zusätzlichen Ausbildung der Lehrkräfte im Bereich der Sprach- und Leseförderung und schließlich soll die Unterstützung der Kinder so frühzeitig wie möglich beginnen.

Die Forderungen, sie sind nachvollziehbar und logisch. Leider wird ihre Umsetzung Geld kosten. Hier geht es nicht um einen Förderlehrer mehr oder einen größeren Materialpool. Lehrpläne müssen dahingehend geprüft werden, ob genug Zeit für die Vermittlung und Einübung elementarer Fertigkeiten im Unterricht eingeräumt wird. Die Ausstattung der Schulen sollte so gestaltet sein, dass sie den Bedürfnissen und Lernwegen ihrer Schüler entspricht, die Materialien müssen vielfältiges und individuelles Lernen ermöglichen.

Und das Land benötigt deutlich mehr Lehrer, gut ausgebildet und vor allem vorbereitet auf einen Alltag, in dem individuelle Unterstützung und Chancenausgleich ganz weit vorne im Pflichtenheft stehen und nicht Selektion. Länger gemeinsam zu lernen, um mehr voneinander zu lernen, auch darüber ist nachzudenken. Und es muss eine grundsätzliche Bereitschaft vorhanden sein, in die Bildung aller Kinder und damit in die gesamte nächste Generation nachhaltig zu investieren. Könnte man sich dafür entscheiden, wäre das ein erster kleiner Silberstreif an dem doch insgesamt recht dunklen Bildungshorizont.