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Inklusiver Arbeitsmarkt

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Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Marcus Aurelius

Schlichtweg nicht nachvollziehbar ist folgende Position: Dass behinderte Menschen Schwierigkeiten beim Finden einer Beschäftigung haben, ist im Wesentlichen ein Vermittlungsproblem und liegt nicht an den Unternehmen. Mit dieser Begründung stimmte die CDU-Fraktion vergangenen Freitag gegen einen Entwurf, der dennoch den Bundestag erfolgreich passierte. Kernelement der Novelle mit dem Titel: Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes ist:

Wer behinderte Menschen zukünftig nicht im geforderten Umfange beschäftigt, der muss nunmehr eine Ausgleichsabgabe in Höhe von 720 € monatlich zahlen. Dies gilt pro Pflichtarbeitsplatz für Betriebe ab 60 Arbeitnehmer: Innen. Eine Firma dieser Größe müsste zwei Menschen mit Inklusionsbedarf beschäftigen. Tut sie dies nicht, beträgt die zu entrichtende Ausgleichsabgabe folglich 1.440 €. Im gleichen Zuge entfällt das bislang zu bezahlende Bußgeld von 10.000 €, das zu entrichten war, wenn der Betrieb keinen behinderten Menschen beschäftigte.

Schauen wir genauer in den Entwurf. Neben der Verdoppelung der Abgabe und des Entfalls des Bußgeldes, was steht noch darin? Die durch die Novelle erzielten finanziellen Mittel sollen hauptsächlich zum Zwecke von beschäftigungsfördernden Maßnahmen für Menschen mit einer Behinderung ausgegeben werden. Darüber hinaus: Wurden Anspruchsleistungen beim Integrationsamt beantragt, so gelten diese – wenn innerhalb von 6 Wochen kein Bescheid zugestellt wird – als genehmigt. Die Deckelung des Lohnkostenzuschusses beim Budget für Arbeit wird aufgehoben und ein Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales soll eingerichtet werden.

Die Idee hinter der Änderung, so der zuständige Minister, Hubertus Heil, ist es Menschen in den Arbeitsmarkt leichter zu integrieren, die hochqualifiziert seien, aber aufgrund ihrer Behinderung keine Beschäftigung finden würden. Dies, so Heil, sei ökonomischer Unfug und in Zeiten von Fachkräftemangel nicht vertretbar. Eine nachvollziehbare Position, ist doch der Anteil der nach Arbeit suchenden behinderten Menschen mit einer abgeschlossenen Ausbildung recht hoch.

Kritik am Gesetz kommt von den Linken: Während die gezielte Verwendung der bei den Unternehmen erhobenen Ausgleichsabgabe ausdrücklich gelobt wird, weist man gleichzeitig  darauf hin, dass immer noch zu wenig für behinderte und chronisch Kranke Langzeitarbeitslose getan werde.

Und die Betroffenen selbst? Dass etwas in Bewegung gerät, wird gelobt. Ottmar Miles-Paul, er ist Sprecher der Liga Selbstvertretung stellt heraus, dass die Ausgleichsabgabe immer noch zu gering sei und kritisiert Sonderbedingungen für kleine Betriebe, die unter den bislang nicht beschäftigenden Unternehmen in der Tat einen Anteil von über 90 % haben.

Eine gute Gesellschaft, man kann sie auch daran erkennen, wie sie mit Menschen umgeht, die Hilfe, Unterstützung oder einfach nur einen Nachteilsausgleich benötigen, um ihren Platz zu finden, eben auch in der Arbeitswelt. Das Gesetz erscheint mir zwar ein Schritt in die richtige Richtung zu sein, aber solange der Wert eines Mitarbeiters durch das eindimensionale Primat einer einzigen Kategorie von Leistung bestimmt und nicht der Mensch mit all seinen Begabungen, Fertig- und Fähigkeiten gesehen wird, sind wir von so etwas wie Gleichberechtigung noch zu deutlich entfernt.

Die Konzentration auf vermeintliche Defizite macht es schwer. Es ist nicht die Aufgabe des behinderten Menschen der Gesellschaft und dem Wirtschaftssystem gerecht zu werden. Ziel der Politik muss es sein, die Entstehung eines Arbeitsmarktes für alle voranzubringen, um langfristig von einem Alimentationssystem weg hin zu echter Partizipation auch der Menschen zu kommen, denen eine vollständige und gleichgestellte Beteiligung am Erwerbsleben bislang ganz oder partiell versagt war.