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Wo Meinungen aufeinander treffen

Schuld – Sühne – Gerechtigkeit

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

Foto von Niemandem

Change.org ist eine Plattform im Internet, auf der man Petitionen starten kann. Das ist grundsätzlich gut, stellt ein Zeichen gelebter Meinungsfreiheit dar und kann auch zur Meinungsbildung beitragen. Ein Blick auf die Petitionen zeigt die Vielfalt dessen, was Menschen in diesen Tagen beschäftigt: Lokale Probleme, wie die drohende Schließung eines Tierschutzhofes, überregionale Fragen, wie jene eines möglichen Stopps von Silvesterfeuerwerken oder auch die Petition für den Frieden von Schwarzer/Wagenknecht finden sich dort. Auf change.org im Moment besonders aktuell ist eine Eingabe, die nach-denklich machen muss. Die Überschrift lautet: „Verurteilt Luises Mörderinnen. Ändert das Alter der Strafmündigkeit in Deutschland“. Zum Zeitpunkt des Erstellens dieses Artikels haben 52.524 Menschen diese Forderung mit ihrem Namen unterzeichnet.

Der Anlass der Petition, er bewegt in diesen Tagen Menschen im ganzen Land. Die zwölfjährige Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenburg wurde am vergangenen Samstag tot im Kreis Altenkirchen im benachbarten Rheinland-Pfalz aufgefunden. Zwei Mädchen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren gestanden nach Angabe der Staatsanwaltschaft Koblenz am darauffolgenden Montag die Tat. Sie hatten das ihnen bekannte Opfer mit zahlreichen Messerstichen getötet. Die Ermittlungen dauern an.

Zurück zur Petition, eindeutig geregelt ist: Beide Kinder können alleine aufgrund ihres Alters – dies ist durch den Gesetzgeber so vorgesehen – nicht für ihre Tat verfolgt und bestraft werden, denn sie gelten als schuldunfähig. Es kann nur darum gehen, auf das zukünftige Verhalten der Kinder soweit Einfluss zu nehmen, dass eine erneute Straffälligkeit möglichst nicht eintritt. Hier kann die Kinder- und Jugendhilfe unterstützen.

Was sich nun aber entfaltet, ist erschreckend. Forderungen werden laut. Die Mädchen müssen, so hört man allenthalben und dahin zielt auch die angesprochene Petition, bestraft werden. Es handle sich – so begründet der Unterzeichner sein Papier – um eine vorsätzliche Tötung, die Kinder hätten wie Erwachsene gehandelt. Und neben der Forderung nach Konsequenzen für die Mädchen, welche verdächtigt werden, möchte man auch das Alter für die Straffälligkeit von Kindern auf 12 oder gar 10 Jahre herabgesetzt wissen. Aus rechtlicher Perspektive ergibt das keinen Sinn: Die Beurteilung eines Falles und die anschließende Eröffnung eines Verfahrens, sie sind nicht allein vom Alter der Beschuldigten, sondern auch davon abhängig, wie die Verantwortungsreife derjenigen eingeschätzt wird.

Außerdem richtet sich die öffentliche Unbill gegen die Eltern der Tatverdächtigen, ganz offensichtlich haben sie ihre Kinder nicht sorgsam genug erzogen bzw. ihnen etwas Falsches vorgelebt, nicht die richtigen Werte vermittelt, sonst wäre es zu dem Geschehen nicht gekommen. Generell anmaßend ist, sich auf diese Weise zu äußern, ganz besonders dann, wenn man die Betroffenen sowie ihre konkrete Situation nicht kennt und die Ermittlungen noch andauern.

Richtig ist: Das Handeln der beiden Mädchen war unmenschlich und brutal. Kein Motiv – und hierüber wissen wir noch sehr wenig – legitimiert die Tötung eines anderen Menschen. Der gewaltsame Tod einer Person bedeutet Leid, Leid für denjenigen, der umkommt. Und ebenso Leid für jene, die zurückbleiben, die nicht erfassen, verstehen und kaum verarbeiten können, was hier geschehen ist. Sie brauchen unser Mitgefühl und unsere Unterstützung.

Leid aber ist auch auf der Seite der Beschuldigten entstanden. Sie haben eine für sie selbst kaum fassbare und sicher auch unerträgliche Handlung begangen. Das müssen sie jetzt aushalten, ihr gesamtes verbleibendes Leben lang. Dies alleine ist eine Strafe. Sie werden Hilfe brauchen bei dem Umgang mit den Bildern des Geschehens, die für immer bei ihnen bleiben werden. Und sie werden Unterstützung benötigen, einen Weg in ihr Leben zu finden, es sinnvoll und in zunehmender zeitlicher Entfernung von diesem Ereignis zu gestalten. Ebenso werden die Eltern der Täterinnen Begleitung benötigen, sich fragen, was sie falsch gemacht haben. Bohrende Fragen, die bleiben werden. Fragen, auf die es keine Antwort gibt, keine Antwort geben kann.

Nicht hilfreich in diesem Prozess, der nie auf Heilung, aber vielleicht auf Linderung bei allen Beteiligten zielen kann, sind Schuldzuweisungen und Forderungen nach Sühne und Gerechtigkeit. Diese sind nicht nur nicht hilfreich, sie sind schädlich im Prozess der Bewältigung der Vorgefallenen. Was geschehen ist, kann durch nichts ungeschehen gemacht werden.