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Weil Asylpolitik nicht einfach ist

Foto von Markus Spiske auf Unsplash

Autor und Sprecher

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Christian Spengler
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Thorsten A. Siefert

Technik und Gestaltung

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Thorsten A. Siefert

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Sie können den Text des Briefes auf der Internetseite #LeaveNoOneBehind nachlesen. Gerichtet ist das Schreiben an Olaf Scholz, Nancy Faeser, Annalena Baerbock, Marco Buschmann und Lisa Paus in ihrer Funktion als Mitglieder der Bundesregierung. Die Botschaft, die die Adressaten sicher längst erreicht hat, sie ist getragen von Sorge.

Sorge um die Zukunft derjenigen Individuen, die zu uns kommen wollen, weil ein Leben dort, wo sie bislang zuhause waren, aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr möglich ist: Politische Verfolgung, Benachteiligung aufgrund des Glaubens, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, Not, Hunger, Krieg sind die wichtigsten Motive, die Menschen dazu bringen, alles hinter sich zu lassen und sich auf den Weg zu machen. Auf den Weg in ein hoffentlich besseres Leben.

Was genau steht im Offenen Brief? Zunächst einmal, dass im Koalitionsvertrag ein neuer Umgang mit Migration versprochen worden war. Nun aber könne man erkennen, dass die Bundesregierung intendiere, dem neuen, deutlich verschärften EU-Asylrecht zuzustimmen. Im Kern sieht dieses vor, Asylverfahren zumindest partiell in speziellen Aufnahmeeinrichtungen an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Liegen keine ausreichenden Gründe für eine Aufnahme vor, so erfolgt die Abschiebung der jeweiligen Person direkt von dort aus. Ausführlich berichteten wir über das Vorhaben vor einem Monat am 4. Mai in dem Artikel „Willkommen in Europa. So aber nicht!“

Der Weg, den die Verantwortlichen nun einschlügen, entferne sich deutlich von der im schriftlichen Übereinkommen der Regierungsparteien festgeschriebenen Forderung nach „besseren Standards in den Asylverfahren der EU-Staaten“. Und statt der zugesagten genauen Prüfung aller Asylbegehren sei man jetzt bereit, einer Ausweitung der Liste der Länder, die als vermeintlich sicher gelten, zuzustimmen.

Die Verfasser des Offenen Briefes geben ihrer Befürchtung Ausdruck, dass nun auch bei uns – wie in anderen europäischen Ländern zurzeit – der Populismus „die Oberhand“ in der Debatte über das Asylrecht gewinnen könnte. Gerade deswegen fordert man die Bundesregierung dazu auf, nach Verbesserungen zu streben, anstatt den jetzt eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die 50 Unterzeichner anbieten, sich mit den politischen Verantwortlichen sowie Experten zum Thema Migration zu treffen, um gemeinsam mögliche Lösungswege zu diskutieren.

Herbert Grönemeyer, Katja Riemann, Deichkind, Klaas Heufer-Umlauf und 46 weitere Prominente. Sie haben ihren Aufruf zur Rückkehr zu der im Koalitionsvertrag festgelegten Richtung im Umgang mit Migration deutlich formuliert. Liest man die 2021 zwischen den Regierungsparteien getroffenen Vereinbarungen, so präsentiert sich hier ein durch mehr Fairness und Rücksicht geprägter und die Menschenwürde achtender Ansatz. Diese Fest-legungen des Umgangs mit dem Thema Asyl erscheinen konträr zu den in der EU aktuell diskutierten Maßnahmen. Genau diese erklärt die Bundesrepublik nun unterstützen zu wollen. Was hat sich verändert?

Richten wir unseren Blick zunächst einmal auf die wachsenden Flüchtlingsströme: Die Zahl der Erstanträge auf Asyl nahm in der EU im Jahr 2021 um 34 % zu, das sind allerdings 10% weniger als im Vorpandemiejahr 2019. Im vergangenen Jahr hat sich der Wert noch einmal deutlich erhöht, die Zunahme betrug nun 46,5 %.

Länder, Landkreise, Städte und Gemeinden zeigen immer wieder an, dass sie mit der Unterbringung der Asylsuchenden überfordert sind und fühlen sich allein gelassen. Die politische Stimmung in der Bundesrepublik, sie scheint in der Asylfrage zu kippen. Und das spiegelt sich in der Haltung der Menschen im Land, dem Populismus zugeneigte Kräfte liegen bei der jüngsten Sonntagsfrage gleichauf mit der die Koalition führenden SPD.

Die Europäische Union, sie muss nach Lösungen suchen. Gemeinsam. Und da liegt das Problem. Die Interessen, sie sind je nach geographischer Lage, dem unmittelbaren Zustrom von Flüchtlingen und politischer Ausrichtung der jeweiligen Regierung höchst unter-schiedlich. Modelle, die in einer Region der EU praktiziert werden können, sind aufgrund ganz eigener Bedingungen in einem anderen Teil Europas häufig nicht umsetzbar.   

Es sind genau diese Unterschiede, die eine Einigung so schwer machen. Dennoch gilt: Die Europäer müssen Strategien für den Umgang mit einem Problem finden, dass sich nicht von selbst löst. Europa wird sich langfristig kaum einer weiteren Zuwanderung erwehren können, ohne irgendwann davon überrollt zu werden. Es bedarf der Vernunft, dieses einzusehen.

Von diesem Punkt aus muss Politik nach Modellen suchen, die die Länder der EU auf der einen Seite nicht überfordern. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die Achtung der Menschenwürde, ein weiterhin ganz selbstverständlicher Wert ist, ganz besonders auch gegenüber denen, die bei uns Zuflucht suchen. Damit wäre zunächst einmal ein Rahmen abgesteckt. Einen solchen benötigt man, bevor über konkrete Maßnahmen und Schritte gesprochen und entschieden wird. Statt zunächst diesen Grundkonsens zu finden und zu formulieren, bereitet man jetzt Verfahren vor, die die große Gefahr in sich tragen, spätestens in ihrer praktischen Umsetzung ungerecht und inhuman zu sein.